6. Mai 2019

Wer hier ist, ist Hamburger*in: Hamburg wird Solidarity City



  1. Präambel
  2. Freedom to stay
  3. Stop all deportations!
  4. Legaladvice them
  5. Inclusive education
  6. Health care is a right not a privilege
  7. Right to work and to be protected against exploitation and abuse
  8. In Hamburg at home
  9. Empowerment now!
  10. Never mind the papers

1. Präambel

Hamburg soll „Solidarity City“ werden und so für Menschen ohne Papiere und/oder mit prekärem Aufenthaltsstatus die Wahrung der Menschenrechte sowie eine soziale, wirtschaftliche und kulturelle Teilhabe an der Stadtgesellschaft sicherstellen.

Am 26. September 2018 hat sich Hamburg gemeinsam mit Bremen und Berlin zum sicheren Hafen erklärt. Ein ’sicherer Hafen‘ zu sein bedeutet einerseits die inhumane Grenzabschottung und Kriminalisierung der Seenotrettung im Mittelmeer zu verurteilen und die Möglichkeiten zur Aufnahme von Überlebenden auszuschöpfen. Es bedeutet andererseits aber auch, allen, die bereits in unseren Städten leben, ein Leben in Sicherheit und Würde zu gewährleisten. So stehen die Rechte der UN-Menschenrechtskonvention allen Menschen unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus zu. Darunter fallen die Rechte auf Freizügigkeit (Artikel 13), soziale Absicherung und ärztliche Versorgung (Artikel 25), Bildung (Artikel 26) sowie das Recht auf Arbeit (Artikel 23). Auch das deutsche Grundgesetz benennt zahlreiche Rechte, die allen Menschen in Deutschland zustehen.

Zwar verweigert das bestehende Aufenthalts- und Asylrecht auf Bundesebene teilweise diese Rechte, der Stadt Hamburg stehen als Bundesland jedoch laut Verfassung rechtliche Spielräume zur Verfügung, Verwaltungsvorschriften und Gesetze zu erlassen und die Bundesgesetze nach eigenem Ermessen auszuführen.

Wir fordern deshalb, dass alle in Hamburg lebenden Menschen als Hamburger*innen anerkannt werden. Als ersten Schritt soll Hamburg dafür dem Beispiel Berlin folgen und dem europäischen Städteverbund „Solidarity Cities“ beitreten. Hamburg sollte sich in diesem Verbund in den kollektiven Prozess einbringen und gemeinsam mit den anderen „Solidarity Cities“ Ideen und Maßnahmen entwickeln, wie Städte solidarisch gestaltet werden können. Dieser Schritt kann auch als Signal fungieren und anderen Städten zeigen, dass transnationale Zusammenarbeit bei der Gestaltung solidarischer Städte möglich ist und so andere Städte zum Nachziehen motivieren.

Über den eher symbolischen Beitritt hinaus fordern wir, dass die Stadt aktive Maßnahmen der Gesetzgebung und Verwaltung ergreift, um die Lebenssituation aller Menschen, denen grundlegende Rechte verwehrt werden, zu verbessern.

2. Freedom to stay

Die Stadt Hamburg hat als Bundesland umfassende Spielräume, das Asyl- und Aufenthaltsrecht zugunsten einer menschenrechtsorientierten Politik zu nutzen. Wir fordern, dass die Stadt die unverbindlichen restriktiven Anwendungshinweise des Bundesinnenministeriums ignoriert. Stattdessen sollten die Ausländer*innenbehörden durch Verwaltungsvorschriften dazu verpflichtet werden, die Spielräume des Bundesrechts weitgehend zu nutzen. So sollen etwa noch mehr Menschen mit Duldung anhand der § 25a und § 25b AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis erteilt bekommen. Dabei soll der aktuelle Trend verstetigt und ausgeweitet werden, potenzielle Nutzer*innen auf die Möglichkeiten hinzuweisen.

Nach §23 AufenthG können Landesbehörden zudem aus humanitären Gründen Aufenthaltserlaubnisse an Personengruppen erteilen. Die notwendige Zustimmung des Bundesinnenministeriums darf dabei nicht aus rein politischen Gründen verweigert werden. Wir fordern, dass die Stadt mit allen Mitteln auf ihr Recht plädiert und so auch aus Seenot geretteten Menschen direkten Schutz gewährt.

Der Senat wird weiterhin aufgefordert, zu prüfen, inwiefern die Einführung einer zusätzlichen Visa-Art dazu dienen kann, mehr Menschen einen Aufenthalt in der Stadt zu ermöglichen.

3. Stop all deportations!

Menschen mit prekärem oder ohne Aufenthaltsstatus leben häufig aus Furcht vor Abschiebung in existenzieller Angst vor Polizei, Verwaltung und Behörden. Der Senat kann und muss Abschiebungen aus der eigenen Stadt verhindern. Wir fordern die Erteilung einer klaren Verwaltungsvorschrift an alle staatlichen Einrichtungen und Institutionen (z.B. Meldestellen, Krankenhäuser oder der Polizei), nach welcher der Aufenthaltsstatus nicht abgefragt werden soll.

Darüber hinaus verurteilen wir die pauschalisierende Dichotomie zwischen „sicheren“ und „unsicheren“ Herkunftsländern. Wir fordern die Stadt auf, die Ausweitung der sicheren Herkunftsländer im Bundesrat abzulehnen. Außerdem sollen Abschiebungen in sichere Herkunftsländer, wie auch alle weiteren drohenden Abschiebungen über Gesetzesspielräume wie der Ermessensduldung nach § 60a Abs. 2 S.3 AufenthG gestoppt werden. Dabei sollen auch die Hürden gesenkt werden, Nachweise für abschiebungsverhindernde Umstände – etwa Nachweise von psychischen Erkrankungen – zu erhalten.

Wir verurteilen zudem entwürdigende Kostenkalkulationen der Härtefallkommission bei der Beurteilung von Abschiebestopps. Stattdessen fordern wir, nach dem Berliner Vorbild, die Ausschöpfung der Möglichkeiten der Kommission bei der Verhinderung von Abschiebungen.

3. Access without fear!

Nur wer keine Angst haben muss, jederzeit abgeschoben zu werden, kann das eigene Leben gestalten. Über den gesicherten Aufenthaltsstatus hinaus ist dafür aber der Zugang zu grundlegenden Rechten und allen Ressourcen der Stadt notwendig.

4. Legaladvice them!

In Hamburg existieren bereits einige Rechtberatungsstellen, die Menschen ermöglichen ihre gesetzlichen verankerten Rechte kennenzulernen und vor allem wahrzunehmen. Um den Menschen, die auf diese Beratung angewiesen sind, den Zugang zu erleichtern, fordert die Grüne Jugend Hamburg die Einrichtung einer niedrigschwelligen koordinierenden Stelle, die als erste Anlaufstelle fungieren kann und die Menschen so an die weiteren passenden Institutionen vermittelt.

Vor allem aber müssen die bereits bestehenden Stellen finanziell stärker gefördert werden, sodass diese unabhängig von unsicheren Förderungen ausreichende Beratungskapazitäten zur Verfügung stellen und sozialraumnahe Angebote schaffen können.

Des Weiteren fordern wir Rechtsbelehrungen für Menschen nicht-deutscher Muttersprache in der jeweils benötigten Sprache zur Verfügung zu stellen, sodass jeder Mensch in Hamburg umfassendes Wissen über seine rechtlichen Umstände erhält.

Ein weiterer Missstand im rechtlichen Bereich ist, dass Rechtsmittel bei Menschen, die behördlich nicht aufgefunden werden, bereits als zugestellt gelten, wenn sie öffentlich zugänglich gemacht sind. Somit verstreichen Fristen, bevor Menschen, die beispielsweise durch Obdachlosigkeit keine Meldeanschrift haben, überhaupt über diese Rechtsmittel Bescheid wissen. Anknüpfend an diesen Umstand fordern wir einen Beginn der Widerrufsfristen erst ab tatsächlicher Zustellung der Rechtsmittel.

5. Inclusive education

Laut Paragraph 26 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte hat jeder Mensch das Recht auf diskriminierungsfreien Zugang zur Bildung.

Um allen Kindern unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus den Zugang zur Schule zu ermöglichen, sollte das Schulpersonal in Hamburg flächendeckend zur Rechtslage von Kindern mit prekärem oder illegalisiertem Aufenthalt geschult und für die Lage betroffener Familien sensibilisiert werden.

Neben einer gezielten intensiven Sprachförderung in Kleingruppen, sollte schon früh für alle Kinder die Eingliederung in inklusiv gestaltete Regelklassen angebahnt werden, sodass diese schon möglichst von Beginn an am regulären Schulleben teilhaben können.

Um in Hamburg anzukommen und ein Mindestmaß an gesellschaftlicher Teilhabe zu erreichen, sind Sprachkenntnisse für alle Menschen unabhängig ihres Aufenthaltsstatus eine Grundvoraussetzung. Daher müssen kostenlose Sprachkurse für alle Menschen geschaffen und geöffnet werden.

6. Health care is a right not a privilege

Zur gesundheitlichen Versorgung für Menschen unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus hat die Stadt Hamburg 2012 die „Clearingstelle für medizinische Versorgung von Ausländerinnen und Ausländern“ eingeführt. Wir begrüßen, dass durch diese Stelle Menschen beraten, in das Regelkrankenversicherungssystem aufgenommen und in akuten Fällen Behandlungskosten für Menschen ohne Krankenversicherungsschutz übernommen werden.

Zur Ausweitung der Versorgung fordern wir eine erhebliche Aufstockung der Notfallfonds der Clearingstelle, um mehr Menschen eine gute Versorgung zu gewährleisten.

Auch wenn die Stadt Hamburg mit der Clearingstelle einen guten ersten Schritt gegangen ist, weist die gesundheitliche Versorgung immer noch große Lücken auf.

Daher fordert die Grüne Jugend Hamburg die Einführung eines niedrigschwellig zugänglichen, langfristig angelegten, anonymen Krankenscheins. Dieser würde den Menschen das Recht auf freie Ärzt*innenwahl bieten.

Die Kostenübernahme nach §25 SGB XII ist eine gute Möglichkeit, Menschen die Übernahme von medizinischen Kosten im Akutfall zu erstatten. Diese Regelung muss jedoch zwingend zuverlässiger und transparenter angewandt werden, sodass Leistungsbringer*innen nach erfolgter Behandlung nicht mit den Kosten allein bleiben und in der Folge keine notwendigen Behandlungen mehr durchführen.

Insbesondere in der Versorgung von Menschen mit psychologischen/psychiatrischen Bedarfen wurden eklatante Defizite sichtbar. Diese Menschen benötigen langfristig angelegte therapeutische Unterstützung, die aus dem Notfallfonds aktuell nicht übernommen werden kann. Anknüpfend muss auch die Übernahme der Kosten für Psychopharmaka zukünftig sichergestellt werden.

Wie bereits 2015 im Koalitionsvertrag der Hamburger Bürgerschaft zwischen SPD und Grünen versprochen, fordern wir den Aufbau eines Zentrums, das die bereits agierenden Träger und Initiativen vernetzt und so das Finden psychologischer Unterstützung für die Menschen erleichtert.

Zudem sollte allen Menschen mit Unterstützungsbedarf ermöglicht werden, ihr Recht auf Eingliederungshilfe zu nutzen. Dazu fordert die Grüne Jugend Hamburg die Behörden auf, ihren Ermessensspielraum zu nutzen, sodass die betroffenen Personen nicht erst nach 15 Monaten Unterstützung erhalten.

7. Right to work and to be protected against exploitation and abuse

Gerade für Menschen mit Duldung oder ohne Aufenthaltsstatus ist es äußerst schwierig, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. So benötigen geduldete Menschen eine Arbeitsgenehmigung von der Ausländer*innenbehörde. Wir fordern dabei die Ausschöpfung des Ermessensspielraumes, sodass für möglichst viele Menschen reguläre Erwerbsmöglichkeiten sichergestellt werden.

Wir begrüßen es, dass die Stadt bereits einigen abgelehnten Asylbewerber*innen mit Hilfe der 3+2-Regelung eine Ausbildung und anschließende Erwerbstätigkeit ohne ständige Angst vor Abschiebung ermöglicht. Die bundesrechtlich vorgegebenen Anforderungen wie Deutschkenntnisse und ein gesicherter Wohnort verhindern jedoch die noch konsequentere Umsetzung. Die Stadt muss deshalb Strukturen schaffen und erweitern, um potenziellen Nutzer*innen die Erfüllung der Anforderungen zu ermöglichen.

Die UN-Menschenrechtscharta beschreibt darüber hinaus nicht nur das Recht auf Arbeit, sondern auch das Recht auf angemessene Arbeitsbedingungen für alle Menschen. Wir fordern die konsequente Durchsetzung gleichwertiger Arbeitsbedingungen für Menschen mit Duldung sowie für illegalisierte Menschen. Gerade illegalisierte Menschen sind, in der Angst gemeldet zu werden, häufig gezwungen, unter ausbeuterischen Verhältnissen zu arbeiten. Auch ihnen stehen jedoch Arbeitnehmer*innenrechte wie Mindestlohn und eine sichere Arbeitsplatzumgebung zu. Wir fordern eine umfassende Unterstützung bei der anonymen Durchsetzung dieser Rechte, ohne die Gefahr der Meldung bei den Behörden.

8. In Hamburg at home

Die Lebensbedingungen in Hamburger Erstaufnahmeeinrichtungen sind weiterhin erschreckend. Wir nehmen nicht hin, dass Menschen, die in vielen Fällen nach einer belastenden Migration Hamburg erreichen, in riesigen, überlasteten Unterkünften, in überfüllten Schlafsälen unter hygienisch unzureichenden Bedingungen leben müssen. In diesen werden sie in vielen Fällen durch Sicherheitspersonal nicht ausreichend geschützt und ihnen werden in den meisten Fällen keine Dolmetscher*innen und zu wenige Sozialarbeiter*innen zur Seite gestellt. Diese prekären Bedingungen führen nur dazu, dass die Menschen nicht ankommen können und weiterhin unter immensem psychischen Stress stehen. Die Stadt Hamburg ist in der Verantwortung für diese Menschen schnellstmöglich angemessene Unterkünfte, im Idealfall nah am Zentrum der Stadt gelegene Wohnungen, zu schaffen und eine ausreichende Begleitung durch Sozialarbeiter*innen im Bedarfsfall mit Unterstützung durch geschulte Dolmetscher*innen sicherzustellen.

Die grundsätzliche Wohnungssituation ist inzwischen leider für einen großen Teil der Hamburger Bevölkerung bedrohlich. Besonders aber für Menschen, die asylverfahrensbedingt oder durch rassistische Auswahlverfahren benachteiligt sind, ist die Lage oft aussichtslos. Um zu vermeiden, dass diese Menschen in prekären Mietverhältnissen oder sogar obdachlos leben müssen, fordern wir die Stadt Hamburg auf, den Menschen auch nach Beendigung ihres Asylverfahrens den Verbleib in der Unterkunft zu ermöglichen, bis diese eine Wohnung gefunden haben.

Diese Option widerspricht im Kern dem Ideal von lebenswerten Wohnen in der Hansestadt, nachdem alle Menschen inklusiv und mit einem privaten, selbstgewählten Wohnraum leben können sollten. Daher strebt die Grüne Jugend Hamburg eine derartige Lösung nur als Notfalloption und als Recht für die betroffenen Menschen in der aktuell sehr eingeschränkten Wohnungssituation an, von dem sie nach eigener Entscheidung Gebrauch machen können.

Für Menschen mit hohem psycho-sozialem Unterstützungsbedarf sollte die Stadt Hamburg dringend therapeutische Wohneinrichtungen schaffen, mit dem Ziel nach und nach möglichst inklusive Wohnformen mit ambulanter Betreuung zu ermöglichen.

9. Empowerment now!

Das Leben von Menschen ohne Papiere und / oder prekärem Aufenthaltsstatus ist hochgradig von hilfsbereiten Menschen, Initiativen, Projekten und Vereinen abhängig. Diese Abhängigkeit hindert die Menschen daran selbstbestimmt zu leben und an der Vertretung ihrer eigenen Interessen mitzuwirken.

Um sich auf strukturelle Veränderungen und Selbstorganisation konzentrieren zu können, bietet ein langfristig gesicherter Aufenthaltsstatus die nötige Basis. Wenn dieser den Menschen geboten wird, kann der Weg zum Empowerment geebnet werden.

Um Empowerment zu fördern, ist es aber auch wichtig, Menschen überhaupt den Raum und die Bedingungen für Selbstbestimmung zu bieten. Wir fordern die Stadt auf, bestehende selbstorganisierte Migrant*innengruppen finanziell zu fördern und zusätzlich die sozialen Träger darin zu unterstützen interessierten Menschen die notwendigen Ressourcen (Raum, Wissen, Vernetzung, …) zu bieten.

Eine weitere Hürde auf dem Weg zum Empowerment ist der Mangel an Wissen über die Möglichkeiten. Daher sollte es eine explizite Aufgabe von zuständigen Sozialarbeiter*innen sein, den Menschen, mit denen sie zusammenarbeiten, den Weg zu selbstorganisierten Gruppen offenzulegen.

10. Never mind the papers

In den meisten der oben genannten Bereichen hängt der Zugang zu Leistungen und Institutionen von Papieren ab. Verbesserungen in den einzelnen Bereichen sind zwar erstrebenswert und sollten schnellstmöglich umgesetzt werden, optimalerweise sollte es jedoch ein Dokument geben, das die Probleme in ihrer Gesamtheit angeht.

Wir fordern daher die Einführung einer Urban Citizenship Card, die allen in Hamburg lebenden Menschen eine umfassende soziale und kulturelle Teilhabe garantiert. Die Urban Citizenship Card soll insbesondere als Dokument bei Polizeikontrollen anerkannt werden. Des Weiteren soll sie Zugang zu allen öffentlichen Einrichtungen, sowie zum Arbeitsmarkt, regulärer Gesundheitsversorgung, Wohnungsmarkt, Bildungssystem sowie sozialen und kulturellen Institutionen sicherstellen. Darüber hinaus soll sie die Möglichkeit eröffnen, Verträge abzuschließen und Bankgeschäfte zu tätigen.



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