27. März 2020

Unsere Position zu der aktuellen Debatte über die Abiturprüfungen:



Die Grüne Jugend Hamburg spricht sich grundsätzlich für eine Abschaffung von der Benotung und Normierung von „Leistung“ aus. Wir stehen für eine individualisierte Bildung, die es allen Menschen ermöglicht, ihr volles persönliches Potenzial zu entfalten. Chancengerechtigkeit ist dabei das Leitbild unserer Bildungspolitik!

Dies ist in unserem Schulsystem leider nicht möglich, was zu großen Teilen an bestehenden Chancenungleichheiten liegt. In der aktuellen Situation werden diese Chancenungleichheiten noch einmal auf das Schärfste verstärkt:

Durch die globale COVID19-Pandemie und den damit verbundenen Schulschließungen haben Schüler*innen nun sehr unterschiedliche Möglichkeiten, sich auf das Abitur vorzubereiten: Während die einen zu Hause Ressourcen wie Platz, Ruhe und die technischen Geräte haben, um sich nun konzentriert auf die Prüfungen vorzubereiten, mangelt es vielen anderen Schüler*innen an genau diesen Ressourcen. Oft sind dies genau die Schüler*innen, die ohnehin schon im regulären Schulgeschäft einen Nachteil haben. Durch die aktuelle Situation und die Entscheidung der KMK (Kultusminister*innenkonferenz) am vergangenen Mittwoch ist es Schulen nicht mehr möglich, diese Nachteile aufzufangen und abzuflachen – im Gegenteil: Sie werden massiv verstärkt, spiegelt sich zum Schluss in den Abschlüssen wieder und das ist ein Skandal!

Zusätzlich zu der Verschärfung von bestehenden Nachteilen formen sich aus der aktuellen Krise weitere Faktoren, die die Durchführung des regulären Abiturs für betroffene Schüler*innen erschwert:

Viele Schüler*innen müssen zu Zeiten von COVID19 für Familienmitglieder sorgen oder um ihre eigene Gesundheit bangen, wenn sie Risikogruppen angehören. Von den wirtschaftlichen Schäden, die die Pandemie verursacht, sind unzählige Haushalte betroffen. Dies ist für viele Schüler*innen eine enorme psychische Belastung, da sie einer ungewissen finanziellen Zukunft ihrer Familie gegenüberstehen. Dadurch, dass viele Familien nun auf teilweise kleinstem Raum zusammen leben müssen, entstehen höhere Risiken für häusliche Gewalt und weitere psychische Belastungen für betroffene Schüler*innen.

Des Weiteren ist klar: Digitales Lernen kann den physischen Unterricht nicht ersetzten. Mit den entfallenen Unterrichtswochen entfällt deshalb die Möglichkeit, im Unterricht abiturrelevante Themen erneut durchzunehmen und in die angeleitete Übung zu gehen. Sich diese Themen selbstständig zu erarbeiten ist eine Aufgabe, die in unserem Bildungssystem nicht gefördert wird und deshalb nicht von den Schüler*innen erwartet werden darf! Auch an dieser Stelle reproduziert die jetzige Lösung der KMK bestehende Ungleichheiten, da in akademischen „gutgebildeten“ Haushalten die Rolle der Lehrkraft kompensiert werden kann.

Aus den genannten Gründen verurteilen wir die Entscheidung der KMK am Mittwoch, die dem Durchschnittsabitur eine Absage erteilte. Wir fordern, dass die Abiturprüfungen trotz der gegebenen Umstände so gerecht wie möglich durchgeführt werden.

Konkret heißt das, dass nötige Ressourcen für Schüler*innen von der BSB (Behörde für Schule und Bildung) und folglich den Schulen bereitgestellt werden müssen:

Schulen müssen Schüler*innen, die gerade vor Abschlussprüfungen stehen, Lernräume zur Verfügung stellen, in denen sie die jetzige Zeit zum Lernen überbrücken können. Dafür sollen die jetzt leerstehenden Räume in den Schulen genutzt werden, in denen Schüler*innen einzeln mit Sicherheitsabstand lernen können sollen. Des Weiteren müssen Schulen allen Schüler*innen technische Geräte bereitstellen, mit denen sie am digitalen Lernen teilnehmen können. 

Nach Umsetzung dieser Maßnahmen müssen Schüler*innen zudem mehr Zeit bekommen, mindestens 2-3 Wochen, um die Ressourcen überhaupt nutzen zu können. Nur so können Schüler*innen unter dieser besonders hohen Belastung sich ausreichend vorbereiten. Die Abiturprüfungen sollten aus diesem Grund nach hinten verschoben werden, denn es erscheint absurd, dass die Prüfungen in Hamburg bereits am 16. April beginnen sollen, die Schulen aber erst am 20. April wieder öffnen. Die neuen Termine der Abiturprüfungen müssen dabei rechtzeitig (das heißt so früh wie möglich) kommuniziert werden, damit Schüler*innen sich darauf einstellen können. Denn Ungewissheit ist ebenfalls eine starke Belastung.

Für die Prüfungen selbst fordern wir eine Anpassung des Prüfungsniveaus, denn selbst mit den gerade aufgeführten Maßnahmen kann kein vollständiger Ausgleich der entstandenen Nachteile gewährleistet werden. Außerdem müssen diegesundheitlichen Schutzmaßnahmen wie Sicherheitsabstände während den Prüfungen klar eingehalten werden.

Allen Schüler*innen muss darüber hinaus ermöglicht werden, ohne eine formale Begründung, die Prüfungen nachzuschreiben, da sie sich entweder in Risikogruppen befinden, selbst unter Quarantäne stehen oder sich angesichts der psychisch belastenden Situation nicht in der Lage sehen die Prüfungen zum jetzigen Zeitpunkt zu schreiben. Dabei müssen sich die Universitäten, auch in anderen Bundesländern, ebenfalls bereit erklären auch später ausgestellte Zeugnisse zu akzeptieren, um so allen Schüler*innen die Option eines Studienbeginns im Wintersemester zu erhalten.

Sollten diese Maßnahmen für die Herstellung von Chancengerechtigkeit nicht umgesetzt werden oder sollte sich die gesundheitliche Lage weiter verschärfen, fordern wir ein Durchschnittsabitur auf der Basis der 32 bis 40 Semesterergebnisse. Denn nur so kann in einer solchen Situation die Chancengerechtigkeit gewahrt bleiben! Unabhängig davon, welche Maßnahmen durchgeführt werden, müssen alle anderen Bundesländer die daraus entstehenden Zeugnisse anerkennen und gleichwertig behandeln! Diese Entscheidung liegt in der Hand der Politiker*innen. Angst vor einer gesellschaftlichen „Nichtanerkennung“ des angeblichen „Minderwertigen Abiturs“ brauchen sie nicht als Argument vorschieben, da ganz Deutschland gerade um die äußerst besondere und belastende Situation Bescheid weiß. Die gesellschaftliche Akzeptanz ist gegeben. Im Gegensatz treffen Entscheidungen wie die der KMK Konferenz auf Unverständnis in der Gesellschaft und ist zugleich ein Zeichen von nicht wertgeschätzter Mitbestimmung von Schüler*innen, indem man deren Position für ein Durchschnittsabitur ausgedrückt in einer Petition nicht berücksichtigt. 

Unsere Forderungen beziehen wir nicht nur auf das Abitur, sondern auch auf alle anderen theoretischen Schulabschlüsse in Hamburg, wie den MSA und ESA. Auch bei Abschlüssen mit praktischem Anteil müssen entsprechende Regelungen gefunden und getroffen werden!



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