15. September 2021

Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit von Hagenbecks Tierpark JETZT!



1874 erhielt der Tierhändler Carl Hagenbeck eine Rentier-Lieferung aus Norwegen, bei der neben den Tieren ihre samischen Halter*innen zur „Ausstellung“ gleich mitgeliefert wurden. In den nächsten Jahrzehnten konnte das Publikum in Hagenbecks Tierpark nicht nur immer mehr Tiere, sondern im Rahmen seiner sogenannten „Völkerschauen“ auch immer mehr auf rassistische Weise als „exotisch“ inszenierte Menschen betrachten. Diese wurden teilweise gewaltvoll aus der ganzen Welt nach Hamburg gebracht, lebten hier unter ausbeuterischen Bedingungen und wurden wie Tiere in klischeehaften angeblich authentischen Gehegen den Blicken des europäischen Publikums ausgesetzt. Hagenbeck nahm in der weltweiten Etablierung der sogenannten Völkerschauen nicht nur eine Vorreiterrolle ein, sondern unterstützte auch anthropologische Untersuchungen der zur Schau gestellten Menschen, welche Rassenideologien eine angeblich wissenschaftliche Legitimität verliehen. Nur vor dem Hintergrund dieser Überzeugung von einer „natürlichen Überlegenheit“ des weißen Mannes gegenüber den ausgestellten Menschen, sind Verbrechen wie die sogenannten Völkerschauen des Hagenbeck‘schen Tierparks überhaupt denkbar. Bis heute haben sich die Betreibenden des Tierparks weder bei den Angehörigen der von den sogenannten Völkerschauen Betroffenen entschuldigt, noch offiziell Stellung zu diesem bis 1931 andauernden Teil ihrer Geschichte genommen oder einen differenzierteren Blick auf den geradezu als Helden verehrten Tierpark-Gründer Carl Hagenbeck geworfen.

Der politische Kontext

Dies ist ein Beispiel unter vielen dafür, wie Hamburg und seine Bürger*innen direkt von europäischer Kolonialisierung profitierten, betrifft jedoch eine besonders prominente Hamburger Institution. Die Folgenschwere deutscher Kolonialisierungen und der daraus entstehenden Profite führte in Hamburg zur Ausarbeitung des postkolonialen Erinnerungskonzeptes, welches 2014 vom Senat beschlossen wurde. Auch findet sich das Bewusstsein für die Verantwortung der Taten der Vergangenheit im aktuellen Koalitionsvertrag von Bündnis 90/Die Grünen und der SPD wieder. Dort heißt es, dass „Zivilgesellschaft, Wissenschaft, Politik und Wirtschaft ein tragfähiges postkoloniales Erinnerungskonzept für die Stadt und ihre historische Verantwortung erarbeiten“ sollen. 

Trotz des somit mehrfach bestätigten Bedarfs an offensivem Handeln zur Aufarbeitung der Kolonialgeschichte Hamburgs zeigt sich, dass die politischen Entscheidungsträger*innen ignorant bleiben, wenn es um den Tierpark Hagenbeck geht. In keiner Silbe wird er in den genannten Dokumenten1 erwähnt und aus einer Anfrage der Linken im Jahre 20172 zum Stand des beschlossenen Konzepts von 2014 ergibt sich, dass auch kaum Handlungen in die Richtung erfolgt sind. Dieser fehlende Wille zur Einsicht der Relevanz und Strahlkraft eines solchen Wahrzeichens Hamburgs, wie es Hagenbecks Tierpark ist, lässt sich nicht anders erklären als mit der letztendlichen fehlenden Ernsthaftigkeit unserer politischen Vertreter*innen zur umfänglichen Aufarbeitung des Kolonialismus. 

Einen Lichtblick bietet das gesamtstädtische dekolonisierende Erinnerungskonzept3, welches 2021 vom Beirat zur Aufarbeitung der Hamburger Kolonialgeschichte erstellt wurde. Hier lassen sich viele wichtige Punkte wie die Abschaffung von Straßennamen, die Kolonialist*innen ehren und somit den Kolonialismus verherrlichen, die verstärkte Vermittlung der Geschichte und Folgen des Kolonialismus in Bildungseinrichtungen wie Schulen und Kitas sowie die Aufarbeitung in breiten und migrantisch-zentrierten Bündnissen wiederfinden. Aufbauend auf diesen Eckpunkten heißt es nun konkret, auch in der Causa Hagenbeck, zu handeln.

Wir stellen deshalb folgende Forderungen:

Wie viele andere koloniale Akteur*innen wird Carl Hagenbeck namentlich durch die Benennung einer Straße geehrt. Dies halten wir im Angesicht seines Beitrags zur Exotisierung und Entmenschlichung der ausgestellten Personen sowie der Ausnutzung des europäischen Kolonialismus für unhaltbar. Die Hagenbeck-Straße in Stellingen kann diesen Namen nicht länger tragen. Stattdessen sollte ein partizipativer Prozess der Umbenennung angestoßen werden, der die vom deutschen Kolonialismus Geschädigten einbezieht.

Um konkrete Maßnahmen zur Aufarbeitung von Hagenbecks Vergangenheit und Erfolg zu erarbeiten, muss dies in weitere dekolonialisierende Politik einbezogen werden. Dafür fordern wir, dass Hagenbecks Tierpark als kolonial belastete Institution in das dekolonialisierende Erinnerungskonzept des Beirats zur Aufarbeitung der Hamburger Kolonialgeschichte und dortige politische Überlegungen einbezogen wird.

Um Wissenslücken zu schließen und die Geschichte sowie den Einfluss der sogenannten „Völkerschauen“ vollständig darstellen und einschätzen zu können, brauchen wir mehr Beschäftigung mit dem Thema. Dafür müssen städtische Gelder für wissenschaftliche, aktivistische und künstlerische Arbeit bereitgestellt werden. Bei der Vergabe dieser Gelder sollten Bewerbungen von BIPoC Künstler*innen, Gruppen und Wissenschaftler*innen bevorzugt werden. Um eine Aufarbeitung zu erleichtern muss ebenso Zugang zu historischen Materialien und Unterlagen ermöglicht werden, die die Familie Hagenbeck sowie städtische Institutionen verwahren.

Aufarbeitung funktioniert nur, wenn öffentliche Spuren der sogenannten Völkerschauen und der Figur Carl Hagenbeck kritisch historisch kontextualisiert werden. Wir fordern deshalb, dass die politisch Verantwortlichen sich diesbezüglich in einen Austausch mit Hagenbecks Tierpark begeben. So sollten Möglichkeiten der Kontextualisierung der Denkmäler auf dem Hagenbeck‘schen Grundstück geprüft werden.

Des Weiteren fordern wir einen oder auch mehrere Gedenkorte für die Opfer der sogenannten Völkerschauen. Ein solcher Ort soll nicht nur der Erinnerung und Trauer für Betroffene sondern auch der Aufklärung der Hamburger Bevölkerung dienen. Bildung ist im Bereich der Dekolonisierung und des Antirassismus besonders relevant. Auf dieser Grundlage fordern wir einen realistischen und intensiven Einbezug der Kolonialgeschichte Deutschlands und insbesondere Hamburgs und damit auch von Hagenbecks Tierpark in Unterrichtsinhalte in Hamburg. Dazu gehört auch die Berücksichtigung von kolonialer Historie bei der Auswahl vom Tierpark als schulisches Ausflugsziel.

Doch nicht nur im schulischen Kontext ist die Aufklärung über die koloniale Vergangenheit von großer Bedeutung. Sie sollte darüber hinaus gesamtgesellschaftlich und niedrigschwellig bereitgestellt werden. Der Besuch des Hamburger Tierparks sollte daher begleitet werden von Informationen innerhalb des Parks, anhand derer der Prozess der Aufarbeitung deutlich wird und verfolgt werden kann. Dazu gehört auch die entsprechende Schulung des Parkpersonals, um einen angemessenen Umgang der Besucher*innen mit der kolonialen Geschichte möglich zu machen. Mit besonderem Blick auf die Betroffenen sollte dabei eine (Re)Traumatisierung verhindert und die dafür notwendigen Maßnahmen bereitgestellt werden.

Von Seiten des Tierparks fordern wir eine öffentliche Positionierung sowie die Verankerung der Kolonialgeschichte im öffentlichen Auftritt. Zusätzlich sollte die wirtschaftliche Ausbeutung der Betroffenen durch den Park anerkannt und als Entschädigung eine finanzielle Unterstützung geleistet werden. Dies kann beispielsweise durch einen Abzug von Spendenbeiträgen von den Einnahmen der Eintrittstickets erfolgen.

Um eine angemessene Aufarbeitung leisten zu können und eine erneute Reproduktion von rassistischen Strukturen zu verhindern, müssen die genannten Forderungen mit Bezug auf und in enger Zusammenarbeit mit Wissenschaftler*innen für Kolonialgeschichte und Rassismus umgesetzt werden. Auf der Grundlage unseres antirassistischen Verständnisses sehen wir in dieser Hinsicht außerdem die Notwendigkeit, die von Rassismus Betroffenen und ihren sowohl innerstädtisch wie auch international aktiven Communities einzuladen. Sie sollten ihre Bedürfnisse und Meinungen äußern können, diese sollten aufgegriffen und umgesetzt werden. Dabei liegt ein besonderer Fokus auf den Gruppen, die selbst Teil der diskriminierenden „Völkerschauen“ waren. Die Zusammenarbeit sollte dabei auf die drei Ziele des Gedenkens, der Aufarbeitung und der Wiedergutmachung ausgerichtet sein und auf politischer, wissenschaftlicher und zivilgesellschaftlicher Ebene organisiert werden.

1 https://www.buergerschaft-hh.de/parldok/dokument/45668/stellungnahme_des-senats-zu_dem_ersuchen_der_buergerschaft_vom_13_juni_2013_bericht_des_kulturausschusses_ueber_die_drucksache_20_3752_aufarbeitung_de.pdf

2 https://www.buergerschaft-hh.de/parldok/dokument/58479/hamburgs_post_koloniales_erinnerungskonzept_ergebnisse_und_perspektiven.pdf

3 https://www.hamburg.de/contentblob/14929000/dfa4164c2e99e177217f65df7cb85a4a/data/21-eckpunkte-dekolonisierung.pdf



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