15. September 2021

Hamburger Hafen – Wachstumsphantasien überwinden, hin zu einer sozialökologischen Transformation Hamburgs



Wir leben in Krisenzeiten: Die Klimakrise, soziale Krisen und Gesundheitskrisen zeigen auf, dass es grundlegende Änderungen braucht. Wenn wir nicht nur die Symptome, sondern auch die Antreiber und Auslöser dieser Krisen bekämpfen wollen, braucht es eine umfassende gesellschaftliche Transformation. Die Krisen sind global und brauchen auch globale Antworten. Als verbindendes Element führt das kapitalistische System zur Ausbeutung von Mensch und Natur, Ungleichheiten, Ungerechtigkeiten und Diskriminierung. Dieses System kann man lokal nicht ändern, aber die Spuren dieser Krisen sind überall auch lokal zu sehen. Globale Veränderungen bedeuten, dass die vernichtenden Logiken des globalen System lokal aufgezeigt und angegangen werden. Der Hamburger Hafen ist ein Beispiel von lokalen Spiegelpunkten eines globalen Systems, das wir uns nicht länger leisten können. Daher sehen wir uns als GRÜNE JUGEND Hamburg in der Pflicht, Position zum Hamburger Hafen zu positionieren und für lokale Maßnahmen zu kämpfen, die das globale System entlarven und ins Wanken bringen.

Doch nicht nur im globalen Kontext ist der Hamburger Hafen relevant. Das Leben in der Stadt Hamburg hängt ganz entscheidend vom ihm ab. Wie sind die Arbeitsbedingungen für tausende Hafenarbeiter*innen? Worauf gründet sich der Wohlstand, aber auch sich dadurch verstärkende Ungerechtigkeiten in der Stadt? Welche politische und wirtschaftliche Relevanz kommt der Stadt Hamburg durch seine Hafen-Infrastruktur zu? Die GRÜNE JUGEND Hamburg (GJHH) hat sich Anfang 2021 im Rahmen ihrer Bildungsarbeit intensiv mit dem Hafen auseinandergesetzt, denn die Machbarkeit der so notwendigen gesellschaftlichen Transformation schließt auch den Hafen ein. Die Frage, wie sich die Stadt Hamburg in Zukunft weiterentwickelt, wird auch am Hamburger Hafen verhandelt. Daher zeigen wir in diesem Antrag eine erste Analyse sowie erste Ansatzpunkte und Maßnahmen auf, die sich auch unseren Grundwerten und Visionen ergeben.

Das Ideal des Hafens und seine Risse – eine Bestandsaufnahme und Analyse

Die wohl prominenteste Debatte um den Hamburger Hafen ist die um die Elbvertiefung. Seit jeher hinkt der Hamburger Hafen dem Wachstum der Frachtschiffe hinterher. Der Tatsache, dass Containerschiffe immer tiefer und breiter werden, soll immer wieder mit Elbvertiefungen begegnet werden. Die Verhandlungen um die aktuelle Elbvertiefung haben die ökologische Zerstörung durch die Baggerarbeiten aufgezeigt: Die Vertiefung an sich greift bereits massiv in bestehende Ökosysteme ein und ist selbst damit völlig unzureichend. Denn der Schlick sammelt sich immer wieder aufs Neue in den Hafenbecken an und muss dann wieder mühsam ausgebaggert werden, um letztlich im Wattenmeer, einem Nationalpark, verklappt zu werden. Diese ernomen finanziellen und ökologischen Belastungen dienen ausschließlich dem Ziel, weiteres Hafenwachstum zu erzwingen. Während Häfen wie Rotterdam oder Antwerpen immer mehr Umschlag machen, hindert die Begrenzung der Elbe das Einfahren sehr großer und/oder sehr schwer beladener Schiffe. Das wiederum begrenzt die Fähigkeit des Hamburger Hafens im gleichen Tempo wie andere große Häfen zu wachsen. Dass dieser natürlichen Grenze durch die Elbe und die Tatsache, dass der Hamburger Hafen nun mal kein Tiefwasserhafen ist, einfach so durch schwerwiegende Eingriffe in die Natur immer wieder umgangen werden soll, ist nicht notwendig und folgt allein der Logik, dass Profite über ökologischen Interessen stehen.

Die Wachstumslogik schlägt sich nicht nur im Projekt der Elbvertiefung nieder. Auch bezogen auf die Fläche soll der Hamburger Hafen immer weiter wachsen. Dabei nimmt der Hafen bereits ca. 10% der Fläche Hamburgs ein und ist dabei an vielen Stellen eine völlige Blackbox, mit abgesperrtem Industriegelände, der aber doch immer mehr Raum einnimmt. In den 1990ern wurde Altenwerder vom Hafen verschluckt und es besteht die Gefahr, dass mit Moorburg ähnliches passiert. Angesichts der Tatsache, dass der Hamburger Hafen wie oben beschrieben begrenzte Wachstumsperspektiven hat, ist das flächenmäßige Wachstum des Hamburger Hafen unangemessen.

Die Zerstörung von Naturflächen im Rahmen der Hafenerweiterung oder die Gefährdung seltener Pflanzenarten im Rahmen der Elbvertiefung sind aber nicht die einzigen ökologischen Probleme, die sich rund um den Hamburger Hafen auftun. Die Schadstoffbelastung, unter anderem auch durch Kreuzfahrtschiffe verursacht, ist in der Hafenregion besonders hoch. Der Notfall der Klimakrise erfordert es, dass der Hafen in jeglichen Perspektiven so schnell wie möglich klimaneutral muss. Die Schadstoffbelastung ist zusätzlich aus gesundheitlicher Perspektive dringend einzugrenzen.

Kreuzfahrtschiffe fallen aber nicht nur dann auf, wenn es um unnötige Schadstoffbelastung geht. Auch die Arbeitsbedingungen auf Kreuzfahrtschiffen, wie auch auf vielen anderen Schiffen, sind katastrophal. Die besonderen Umstände mit langen Reise- und Arbeitszeiten müssen gerecht entlohnt werden. Menschen, die in der Schifffahrt arbeiten, müssen arbeitsrechtlich geschützt werden. Nicht nur auf Schiffen ist der Hamburger Hafen ein Ort von Arbeitskämpfen. Die Arbeit im Hafen ist im Wandel: Digitalisierung und autonome Infrastruktur werden die Arbeitswelt umkrempeln. Dieser Transformation muss sozial gerecht, mit fairer Entlohnung und guten Arbeitsbedingungen begegnet werden.

Ausbeutung von Menschen ist Alltag im Hamburger Hafen. Das ist kein aktuelles Problem, sondern die Grundlage, auf der die Größe des Hafens und der Reichtum der Stadt basiert. Der Hafen hat Hamburg reich gemacht, davon zeugt die Speicherstadt und die lange Handelsgeschichte. Doch dieser Reichtum basierte auf kolonialer Ausbeutung, Unterdrückung, Sklavenarbeit und vielen weiteren Verbrechen. Auch heute noch werden vom Hamburger Hafen Kriegsgerät in die Welt verschifft und durch globale Handelsbeziehungen bestehende Ungerechtigkeiten verstärkt.

Koloniale Strukturen lassen sich regelmäßig auch in den aktuellen Debatten um Wasserstoff erkennen. Wasserstoff ermöglicht das Speichern von Energie und kann als Antrieb für u. a. Schiffe verwendet werden. Während Wasserstoff oft als Allheilsbringer für Klimaneutralität dargestellt wird, können zur Herstellung von Wasserstoff auch fossile Energien verwendet werden. Wasserstoff ist also zunächst gar nicht per se klimaneutral, sondern nur, wenn er auch aus erneuerbaren Energien hergestellt wird. Der dann sogenannte “grüne Wasserstoff” ist aber nicht zwangsläufig klimagerecht. Weil in Deutschland seit Jahren der Ausbau erneuerbarer Energien behindert wird, wird “grüner Wasserstoff” oft gar nicht in Deutschland hergestellt. Als Alternative dienen beispielsweise Solarparks in der Sahararegion oder anderen erneuerbaren Energien im globalen Süden. Die Auslagerung der Herstellung von Wasserstoff kann neokoloniale Strukturen fördern und dabei ausbeuterisch für Menschen im globalen Süden sein. Bei einer klimagerechten Energiewende geht es also in erster Linie gar nicht um importierten Wasserstoff, sondern um den Ausbau erneuerbarer Energien in Deutschland. Nur so kann überhaupt klimagerechter “grüner Wasserstoff” hergestellt werden.

Aber nicht nur Wasserstoff ist eine entscheidende Komponente bei der Klimawende im Hafen. Im Hafen ist viel Schwerindustrie angesiedelt, welche einen hohen Energie- und Ressourcenverbrauch hat. Mit dem Abschalten des Kohlekraftwerks Moorburg wurde ein erster Schritt Richtung Klimaneutralität gemacht, die Hafenindustrie ist aber so noch nicht zukunftsfähig. Es bedarf einer grundlegenden Transformation, damit der Hamburger Hafen wirklich klimaneutral und vor allem klimagerecht ist.

Junggrüne Perspektiven

Es wird deutlich, dass der Hamburger Hafen Dreh- und Angelpunkt für eine soziale und klimagerechte Transformation sein muss. In diesem Antrag wollen dafür wir erste Ansatzpunkte aufzeigen.

Für die konkretere Ausgestaltung wird der Landesvorstand beauftragt, aktuelle Entwicklungen rund um das Thema weiter im Blick zu behalten, sich weiter mit Akteur*innen im und rund um den Hafen zu vernetzen und sich in seiner Öffentlichkeitsarbeit anhand dieser groben Zukunftsentwürfe zu äußern. Außerdem sollen diese Leitplanken in der Zusammenarbeit der GJHH mit der Partei und der Fraktion klar kommuniziert werden.

  • Anstelle der irrationalen Maximierung von Profiten, müssen sinnvolle, möglichst klimaneutrale und sozial gerechte Lösungen her:
    • Wir fordern einen sofortigen Stopp der Elbvertiefung, da so bestehende Probleme nur verschärft werden und es ohnehin nicht möglich sein wird, die Elbe so zu vertiefen, dass sie mit anderen Häfen mithalten kann.
    • Wir fordern die Entwicklung europäischer Hafenkooperationen insbesondere in der Nordrange. Die Profitinteressen von Hafenbetreiber*innen oder Wirtschaftsregionen darf nicht darüber entscheiden, wie Güter transportiert werden. Stattdessen müssen Transportwege sinnvoll so gestaltet werden, dass sie möglichst klimaneutral sind und gleichzeitig Güter im Rahmen der erforderlichen Zeit an ihren Zielort gebracht werden können.
    • Wir fordern die kritische Begleitung einer Hafenkooperation mit dem Jade-Weser-Port. Eine norddeutsche Hafenkooperation darf nicht norddeutschen oder hamburgischen Profitinteressen dienen, sonden ist nur dann sinnvoll, wenn sie Transportwege im Sinne der Klimaneutralität effektiver macht.
  • Hafen-Wachstum ist kein Selbstzweck und vor allem für den Hamburger Hafen auch nicht nötig. Wir fordern kein weiteres Flächenwachstum für den Hamburger Hafen. Es dürfen nicht noch weitere Teile der Stadt dem Hafen einverleibt werden, vielmehr muss es darum gehen, bestehende Flächen umzuwidmen für Wohnraum und andere Nutzungen.
  • Der Hafen ist ein Ort von Arbeitskämpfen. Wir fordern sozial gerechte Arbeitsbedingungen und Löhne für die Hafenarbeiter*innen. Wir unterstützen die Arbeitskämpfe der Hafenarbeiter*innen, es muss allerdings vor allem darum gehen, einen anstehenden Strukturwandel vorzubereiten und den Umbruch sozial gerecht zu gestalten.
  • Die Klimakrise sowie die Krise sozialer und globaler Ungerechtigkeiten erlaubt es nicht, dass wir länger auf unnötige Komponenten der Schifffahrt setzen. Wir fordern, dass Kreuzfahrtschiffen die Einfahrt in den Hamburger Hafen verboten wird. Die Kreuzfahrtindustrie trägt wesentlich zur Klimakrise bei. Außerdem ensteht durch die vielen Schiffe im Hamburger Hafen eine hohe Schadstoffbelastung und somit gesundheitliche Belastung für die Anwohner*innen.
  • Die Arbeitsbedingungen in der Schifffahrt zeugen von kolonialen Kontinuitäten. Mit Waffenexporten über den Hamburger Hafen ist Hamburg ein Glied in der Kette, die (globale) Ungerechtigkeiten verstärkt. Hamburg muss sich für bessere Arbeitsbedingungen und eine gerechte Entlohnung in der Schifffahrt einsetzen und sollte auf allen Ebenen dafür kämpfen, dass der Export aus Deutschland von Rüstungsgütern massiv eingeschränkt wird.
  • Der Hamburger Hafen hat immer auf kolonialen Strukturen gefußt. Wir fordern die konsequente Aufarbeitung der kolonialen Geschichte des Hafens. Die Rolle des Hafens in den kolonialen Verbrechen ist noch nicht in der Hamburger Stadtgesellschaft verankert. Hier ist Forschungsarbeit und vor allem Bildungsarbeit auf allen Ebenen notwendig.
  • Im Hamburger Hafen muss eine echt und vor allem (global) gerechte Klimawende vollzogen werden. Wir fordern eine kritische Begleitung der Wasserstoffprojekte im Hafen. Wasserstoff wird zwar in der Zukunft eine relevante Rolle im Bereich der Energiespeicherung spielen, dabei muss aber zentral bleiben, dass es sich um regional produzierten, grünen Wasserstoff handelt. Ist der Import von grünem Wasserstoff aus dem Ausland notwendig, ist unbedingt darauf zu achten, dass die Arbeitsverhältnisse sozial gerecht ausgestaltet sind und keine kolonialen Muster reproduziert werden.
  • Die Stadt Hamburg muss sich von den Vermächtnissen des fossilen Zeitalters lösen und ihre wirtschaftlichen Schwerpunkte neu finden. Der Antrieb für politisches Handeln in der Freien und Hansestadt Hamburg muss die Vision einer gerechten und lebenswerten Stadt mit echten Zukunftsperspektiven sein.

Eine Zukunft ohne den Hafen?

Die Zukunft Hamburgs darf sich nicht an kapitalistischen Hafenlogiken orientieren. Hafenwachstum darf kein Selbstzweck sein und nicht die Grundlage für die Entwicklung Hamburgs. Wir können nicht vorhersagen, wie Hamburg in 20 Jahren aussieht. Aber es ist wichtig, dass sich Hamburg auf den Weg in eine klimagerechte Zukunft macht, in der das bestehende kapitalistische Wirtschaftssystem, basierend auf Ausbeutung, Wachstum und Ungerechtigkeit überwunden wird. In dieser Zukunft kann der Hafen weiter eine Rolle spielen, als Ort, der sich harmonisch in die Stadt eingliedert, der die bestehenden Ökosysteme respektiert, der also zwangsläufig viel kleiner ist und dafür stark mit anderen Häfen kooperiert.

Freiwerdende Flächen müssen für Wohnraum und Renaturierung genutzt werden und Hamburg muss zu einer Stadt mit diversen wirtschaftlichen Hintergründen werden, die aber alle klimaneutral, sozial gerecht und nicht wachstumsorientiert agieren. So oder so, ist eine umfassende Transformation des Hafens, eingebettet in die größere sozial-ökologische Transformation Hamburgs, dringend notwendig!

Statt sich also auf den Hafen als einzigen Standortvorteil und Identitätsanker Hamburgs zu versteifen, sollte er vielmehr ein Ausgangspunkt sein für eine Zukunft, die wirklich für alle Menschen lebenswert ist und in der Konkurrenz, Ausbeutung und Wachstum nicht länger bestimmend sind.



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